Disclaimer

by clicking a geography button, you agree to abide by terms and conditions listed herein.

Home Analysen „China ...

„China Verschuldung: Die Uhr tickt“

„China Verschuldung: Die Uhr tickt“
Paul Smillie, Senior Investment Analyst bei Columbia Threadneedle Investments (Quelle: Columbia Threadneedle Investments)

Chinas Verschuldung ist ein ernsthaftes Problem, das Investoren nicht unterschätzen sollten. Nur radikale Lösungen bleiben übrig, um die wachsende Kreditblase in den Griff zu bekommen, sagt Paul Smillie, Senior Investment Analyst bei Columbia Threadneedle Investments in unserem Gastkommentar.

Viele Anleger schauen gebannt auf die Handelsgespräche mit den USA. Sie fürchten einen ausgewachsenen Handelskrieg, der die internationalen – insbesondere die chinesischen – Aktienmärkte belasten würde. Doch die Anleger unterschätzen die wachsenden Probleme infolge der in letzter Zeit kräftigen Kreditexpansion in China. Die wachsende Kreditblase des Landes ist jetzt nur noch mit radikalen Lösungen in den Griff zu bekommen.

Die Angst vor einem Handelskrieg zwischen den USA und China hat in den letzten Wochen die Schlagzeilen beherrscht und die Anleger beunruhigt. Besonders deutlich ist das in China, wo der Shanghai Composite Index gegenüber seinen Niveaus im April um rund 10% fiel, als im Mai die Handelsgespräche zwischen den zwei Ländern ins Stocken gerieten [1].

US-Präsident Donald Trump droht nun, die nächste Zollrunde zu genehmigen (25% auf die restlichen Importe aus China im Wert von 300 Milliarden USD), und China erwägt Gegenmaßnahmen. Die beiden Länder stehen damit am Rande eines Handelskriegs, der der chinesischen Wirtschaft erheblich schaden könnte.

Chinas massive Kreditexpansion sollte alarmieren

Ein Handelskrieg ist sicherlich ein Grund zur Sorge. Wir sind aber der Ansicht, dass die Märkte andere, möglicherweise größere systemische Risiken für die chinesische Wirtschaft unterschätzen: die starke und beunruhigende Kreditexpansion in den letzten Jahren.

Das chinesische Wirtschaftswachstum ist von über 14% pro Jahr vor der Finanzkrise auf jetzt unter 7% zurückgegangen. Damit hat sich das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt deutlich verlangsamt [2]. Die chinesischen Behörden haben deshalb die Kredithähne geöffnet, um die Wirtschaft mit mehr Fremdkapital zu stimulieren. Das Problem bei dieser Strategie ist, dass sie umso weniger effektiv wird, je mehr die Verschuldung zunimmt.

Asian Market Insights

Exclusive news, analyses and opinion on Asian economies and financial markets

Asian Market Insights

Exklusive News, Analysen und Meinungen zu den asiatischen Finanzmärkten

Im Jahr 2008 betrug die „Kreditrendite“, die misst, wie effektiv Neukredite das Wachstum beleben, ungefähr 0,75. Das heißt, dass jeder verliehene Yuan ein nominales Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 0,75 Yuan erzeugte. Seit 2014 liegt diese Kennzahl im Durchschnitt bei 0,25 [3].

Noch beunruhigender sind die wachsenden Extremrisiken. Wie auch immer man es betrachtet, die massive Kreditexpansion in China in den letzten Jahren sollte die Alarmglocken schrillen lassen. Wichtige Kennzahlen für das Kreditwachstum signalisieren, dass dieses Wachstumstempo nicht nur unhaltbar ist, sondern zu einem deutlichen Anstieg notleidender Kredite führen wird. Irgendwann wird sich das sehr negativ auf die Anleihe- und Aktienmärkte Chinas auswirken.

China Verschuldung: Unhaltbares Kreditwachstum

Werfen wir einen Blick auf die Kreditquote, also den Quotienten aus Kreditvolumen und Bruttoinlandsprodukt: Schätzungen zufolge ist diese Quote in China seit der Finanzkrise von knapp 150% auf rund 300% gestiegen, wenn man sowohl bilanzielle als auch außerbilanzielle Kredite berücksichtigt. Unseres Erachtens ist der chinesische Bankensektor damit eindeutig als Krisensektor einzustufen.

Zum Vergleich: In den USA ist diese Kennzahl von 2000 bis 2008 im Vorfeld der globalen Finanzkrise um 80% auf etwa 350% gestiegen. Tatsächlich ging es jedes Mal schlecht aus, wenn die Kreditquote über fünf Jahre von mehr als 100% um über 30 Prozentpunkte stieg [4].

Die „Lücke bei der Kreditquote“ (kurz: „Kreditlücke“), ein von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich bevorzugter Indikator, der die Abweichung der Kreditquote von ihrem langfristigen Trend misst, gibt ebenfalls Anlass zur Sorge. In China lag die Kreditlücke in den letzten Jahren bei über 20%. Eine Kreditlücke in dieser Größenordnung war in den letzten 50 Jahren ein sehr guter Indikator für eine bevorstehende Bankenkrise.

Unserer Einschätzung nach sollten Anleger in China mit einer höheren Ausfallquote rechnen. Amtlichen chinesischen Daten zufolge sind nur 2% der Kredite notleidend. Doch wenn das Kreditvolumen so stark zunimmt wie in China, liegt der Anteil notleidender Kredite erfahrungsgemäß eher bei rund 20% [5].

Notleidende Kredite in drei Bereichen

Wo also befinden sich diese notleidenden Kredite? In drei Bereichen: Kredite an Lokalregierungen, mit denen diese oft Infrastrukturprojekte finanzieren; außerbilanzielle Engagements von Banken (insbesondere die äußerst beliebten Vermögensverwaltungsprodukte, mit denen Ausleihungen aus den Kreditbüchern der Banken ausgelagert werden); und Kredite kleinerer chinesischer Banken, die in den letzten Jahren viel schneller als ihre größeren Konkurrenten gewachsen sind.

Die Zahlen sind gewaltig. Insgesamt ist der chinesische Bankensektor seit 2008 um etwa 350% auf 36 Billionen USD gewachsen. Allein die außerbilanziellen Kredite in China werden auf rund 4,5 Billionen USD geschätzt. Das übertrifft die gesamten Ausleihungen der vier größten US-Banken (Bank of America, JP Morgan, Citi und Wells Fargo) [6].

Folgen für die Aktien- und Anleihemärkte

Erfreulicherweise ist in China – abgesehen vom Unternehmenssektor – die Verschuldung in Fremdwährung niedrig. Dass sich die Asien-Krise von 1997, die durch hohe Dollar-Schulden ausgelöst wurde, in China wiederholt, ist also nicht zu befürchten.

Doch einschließlich außerbilanzieller Aktiva belaufen sich die Bankaktiva in China auf rund 45 Billionen USD. Die auf 3 Billionen USD geschätzten Devisenreserven Chinas könnten daher durch Kapitalabzüge rasch dahinschwinden [7].

Wenn die Banken gestützt werden müssen, werden die chinesischen Behörden zu einem radikaleren Schritt gezwungen sein. Möglicherweise würde die Regierung den Bankensektor rekapitalisieren. Nach unseren Berechnungen könnte dadurch die amtliche Staatsschuldenquote Chinas dramatisch von derzeit rund 48% auf über70 % steigen [8]. Das entspräche immer noch dem Niveau vieler westlicher Länder, wäre aber keine Kleinigkeit.

Vor fünf Jahren waren wir der Ansicht, dass eine starke Kreditexpansion in China mit minimalen Marktstörungen hätte bewältigt werden können. Heute sehen wir das anders.

China könnte es als erstem Land gelingen, eine so starke Kreditexpansion problemlos zu verkraften, entweder durch einen geschickten Schuldenabbau, niedrigeres Wachstum und eine Währungsabwertung oder – was wahrscheinlicher ist – durch eine teure Rekapitalisierung des Bankensektors. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die chinesische Kreditblase plötzlich krachend platzt und dass dies aufgrund der Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft das globale Wachstum ernsthaft beeinträchtigt.

In jedem Fall können die Anleger mit noch dramatischeren Bewegungen an den Aktien- und Anleihemärkten rechnen, als durch die aktuellen Ängste vor einem Handelskrieg zwischen den USA und China verursacht worden sind.

 

Über den Autor
China Kreditblase: Paul Smillie, Senior Investment Analyst bei Columbia Threadneedle Investments (Quelle: Columbia Threadneedle Investments)
Paul Smillie, Senior Investment Analyst bei Columbia Threadneedle Investments (Quelle: Columbia Threadneedle Investments)China Kreditblase: Paul Smillie, Senior Investment Analyst bei Columbia Threadneedle Investments (Quelle: Columbia Threadneedle Investments)

Paul Smillie
Senior Investment Analyst
Columbia Threadneedle Investments 

Paul Smillie kam 2010 zu Columbia Threadneedle und ist Credit Research Analyst im Fixed Income Team. Er ist insbesondere für die Recherche von Unternehmen und die Erarbeitung von Relative-Value-Ideen im Finanzsektor verantwortlich.
Vor seinem Eintritt in das Unternehmen war Paul sechs Jahre bei Banquo Credit Management in den Bereichen Handel und Analyse tätig. Er hat auch bei Merrill Lynch gearbeitet. Paul hat einen Abschluss in Rechtswissenschaften von der University of Glasgow.

 

[1] Bloomberg, Juni 2019
[2] Why the world is unprepared for the economic dangers ahead, New Statesman, 6. März 2019
[3] CEIC, PBOC, Bloomberg, Wind, China Trustee Association, HKMA, Unternehmensdaten der BIS / Schätzungen von Columbia Threadneedle sowie Autonomous Research: „China Macrofinancial. Unproductive credit continues to mount.“ Charlene Chu und Yundi Zhang, Juli 2017
[4] Federal Reserve März 2019/IMF Working Paper, Credit Booms – Is China Different?, Sally Chen und Joong Shik Kang, Januar 2018
[5] IMF Country Report 17/358. People’s Republic of China, Financial System Stability Assessment, Dezember 2017/Emerging Advisors Group, Why are Chinese NPL Ratios So Low? Crystal Cheng, Januar 2019/World Bank IMF Working Paper, Systemic Banking Crises Revisited, Luc Laeven und Fabian Valencia, September 2018
[6] Emerging Advisors Group, Just How Big is China’s Financial System?, Crystal Cheng, Januar 2018/ Autonomous Research/PBOC März 2019
[7] Emerging Advisors Group, Just How Big is China’s Financial System?, Crystal Cheng, Januar 2018/Autonomous Research/ PBOC/IWF März 2019
[8] Analyse von Columbia Threadneedle Investments, Mai 2019